Gerade hatte ich mal wieder Barbara Yelins wunderbare "Irmina" in der Hand, die erschienen ist, noch bevor ich gebloggt habe. Da Barbara für dieses Buch verdientermaßen immer noch Preise gewinnt, bei Reprodukt dieses Frühjahr eine Neuauflage erscheint und es sogar von der Bundeszentrale für politische Bildung für herausgebenswert erachtet wurde, ist es wohl noch nicht zu spät, etwas darüber zu schreiben, dachte ich mir.
Es ist schon fast ein Jahr her, dass ich beim Festival de la Bande Dessinée in Angoulême am Stand der deutschen Comics stand, Barbara beim Zeichnen zusah und derweil spaßeshalber versuchte, ihre Bücher an den (meist französischsprachigen) Mann/die Frau zu bringen. Was tut
man nicht alles, um Barbara beim Zeichnen zusehen zu können! Tatsächlich habe ich immerhin ein Buch verkauft in der halben Stunde, die ich dort stand. So ein Graphic-Novel-Kauf will schließlich
gut überlegt sein. Nicht jeder zückt locker die 39€, die "Irmina" kostet. Aber ich verspreche: Dieses Buch ist jeden Cent wert.
Die Geschichte ist schnell erzählt. Der Leser folgt der anfangs neunzehnjährigen Irmina auf ihrem Lebensweg. Wir schreiben das Jahr 1934. Familiären und gesellschaftlichen Widrigkeiten zum Trotz fährt Irmina voller Tatendrang nach London, um dort eine Ausbildung zur Fremdsprachensekretärin zu machen und ein unabhängiges Leben als berufstätige Frau führen zu können. Sie lernt dort Howard kennen, der es als Farbiger nach Oxford an die Universität geschafft hat und ebenfalls von einem freien, selbstbestimmten und erfolgreichen Leben träumt. Doch noch bevor sich eine Liebesbeziehung zwischen den beiden entwickeln kann, verschärfen sich die politischen Beziehungen zwischen Deutschland und Großbritannien dermaßen, dass Irmina nach Deutschland zurückkehren muss. Zwei Jahre kann sie den Briefkontakt aufrechterhalten und probiert in jener Zeit zielstrebig, über ihre Stelle im Kriegsministerium eine Versetzung nach England zu erwirken, doch daraus wird nichts und gerade, als sie sich entschieden hat, auch ohne Anstellung den Sprung über den Kanal zu wagen, kommt einer ihrer Briefe mit dem Vermerk "Empfänger unbekannt verzogen" zurück.
Durch diesen Rückschlag resigniert sie und ergibt sich in ihr von der deutschen Gesellschaft für sie vorgezeichnetes, durch den Krieg zusätzlich erschwertes Schicksal.
Irmina ist eine dichte Geschichte über den Druck der gesellschaftlichen Erwartungshaltung, das Abtasten der Grenzen der persönlichen Freiheit, die für Frauen in jener Zeit sehr eng gesteckt waren, und dem Wunsch nach beruflicher und emotionaler Erfüllung in einer Zeit der Unfreiheit, Bevormundung und Unterdrückung. Es ist auch eine Geschichte über den Alltag und das Abwägen zwischen individueller Sicherheit und gesellschaftlicher Verantwortung im Dritten Reich.
Wer sich nicht vorstellen, wie es damals zu all den Grausamkeiten kommen konnte, der bekommt bei der Lektüre dieses Buches einen guten Eindruck davon, wie sich die Dinge entwickelt und sich die Angst in den deutschen Alltag eingeschlichen hat; die Angst die eigene Meinung nicht nur zu sagen, sondern auch zu verteidigen unter Gefahr für Leib und Leben für sich selbst und seine Angehörige. In ausdrucksstarken Zeichnungen schafft es Barbara, nicht nur die Veränderung der Atmosphäre im Ganzen, sondern auch zwischen den einzelnen Figuren herauszuarbeiten.
Besonders schwer im Magen liegt einem als Leserin auch die Darstellung der Rolle der Frau in dieser Geschichte. Niemand erwartet von der Hauptfigur Irmina irgendetwas anderes, als dass sie heiratet, den Haushalt führt und Kinder gebiert. Jeden zusätzlichen Entwicklungsschritt, den sie macht, macht sie gegen Widerstand von allen Seiten, der bestenfalls als Verwunderung über ihren Ehrgeiz ausgedrückt wird. Meist jedoch stößt sie auf völliges Unverständnis, bei den Männern auf Herablassung und Ablehnung. Zu den zwei Personen, die ihre Entwicklungsdrang befürworten, verliert sie den Kontakt. Wer dieses Buch liest, wird daran erinnert, dass die Gleichberechtigung der Frau, die auch heute noch nicht erreicht ist, ein steter Kampf ist, den nur wenige Frauen aktiv führen.
Und wenn einem all die Tristesse, die in dieser Geschichte steckt, zuviel wird, kann man immer noch einfach nur die wunderschönen Zeichnungen genießen.