GAea Schoeters - Trofee

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Gutachten Gaea Schoeters - Trofee
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Hunter White, dubiöser amerikanischer Geschäftsmann und leidenschaftlicher Jäger von Kindsbeinen an, reist in den Süden Afrikas, um bei seiner angestammten Lodge des Wildparkbesitzers Van Heeren ein Nashorn zu schießen, das ihm für seine persönlichen Big Five noch fehlt.
Ein erster Versuch, sich dem Tier, einem älteren Bullen, zu nähern, wird durch das Erscheinen eines zweiten, jüngeren Bullen gestört. Am nächsten Tag spüren Fährtensucher ein Tier auf, doch es erweist sich als das falsche und ist zudem angeschossen, sodass Van Heeren ihm einen Gnadenschuss verpasst. Da die Wunde frisch und die Kugel, die Van Heeren aus der Wund herausholt, kleinkalibrig ist, gehen sie davon aus, dass es sich um Gelegenheitswilderer handelt, die sich wahrscheinlich noch in der Nähe befinden. Auf der Suche nach ihnen stoßen sie auf das für White „reservierte“ Nashorn, das abgeschlachtet und dessen Horn brutal abgesägt wurde. Van Heeren ruft Ranger und Polizei, während White mit dem Fahrer Jeans enttäuscht zur Lodge zurückkehrt. Er hatte sich schon darauf gefreut, seiner Frau das ausgestopfte Nashorn als Trophäe mitzubringen.


Um seinen Kunden bei Laune zu halten, denn ein anderes Nashorn wird so schnell nicht mehr zum Abschuss zur Verfügung stehen, nimmt Van Heeren White mit zu einem Hochsitz, von dem aus sie zusehen, wie zwei einheimische Jungen eine Elenantilope jagen. Van Heeren lässt beiläufig fallen, ob White schon davon gehört habe, dass man heutzutage von den Big Six spreche. Entsetzt stürmt White davon, doch sein Jagdinstinkt ist geweckt, und wenig später spricht er Van Heeren darauf an.
Dieser erklärt ihm, dass er einen Deal mit den einheimischen San habe, dass Kunden für 500 000 Dollar Jagd auf einen Jungen machen dürften. Im Gegenzug dürfen die Dorfbewohner auf seinem Land unbegrenzt jagen, investiert er in ihrem Dorf und schickt einen begabten Jungen des Dorfes zum Studium in die USA. White zeigt sich interessiert, sodass wenig später ein Termin vereinbart wird, bei dem die Dorfbewohner den Kunden auf die Probe stellen. White, der ein sehr erfahrener Jäger ist, besteht den Test, der darin besteht, einen angriffslustigen Büffel zu schießen, der die Dorfbewohner bedroht. Nach einem Zeremoniell, das die ganze Nacht dauert, beginnt die Jagd. Der Junge, dem White am Vortag vom Hochsitz aus bei der Jagd zugesehen hat, !Nqate, bekommt einen Vorsprung und White wird Dawid, ein Spurensucher und guter Freund des Jungen, der zur Strecke gebracht werden soll, zur Seite gestellt, um ihn zu finden.


Nach einer Weile geht White auf, dass diese Jagd anders ist als alle anderen, weil seine Beute weiß, dass sie gejagt wird und außerdem selbst ein Jäger ist, der zudem das Gebiet sehr gut kennt. White befürchtet, dass er vom Jäger zum Gejagten werden könnte. Außerdem wird er von einem Freund seines Opfers begleitet, dem er ab dem Moment auch nicht mehr vertraut. Doch der beruhigt ihn: Es gelte no prey, no pay. Dass das bedeutet, dass alles ein abgekartetes Spiel und ergo eines echten Jägers unwürdig ist, geht White erst zu spät auf. Da hat er !Nqate schon erschossen. Leider hat er im entscheidenden Moment gezögert, sodass dieser nicht sofort tot ist, und mit dem Schuss verlässt White der Mut, sodass er nicht in der Lage ist, !Nqate mit dem Messer von seinem Leiden zu erlösen, wie es ihm einst sein Großvater für solche Fälle beigebracht hat. Das übernimmt Dawid für ihn.
Auf dem Rückweg ist die Atmosphäre vergiftet. Dawid nimmt White übel, dass sein Freund so wenig ehrenvoll sterben musste, und White ist völlig verstört darüber, dass er einen Menschen getötet hat. In seiner Wut zieht er seinen Stiefel, den er ausgezogen hat, schwungvoll an, ohne vorher hineinzusehen, und wird prompt von einem hochgiftigen Skorpion gestochen. Während sich das sehr schmerzhafte Gift in seinem Körper ausbreitet, versuchen Dawid und White mit dem Toten auf eine Trage zwischen sich so weit wie möglich aus dem Löwenterritorium herauszukommen, bevor es dunkel wird. Das gelingt ihnen nicht, sodass White, der inzwischen so gut wie völlig gelähmt und sowieso dem Tode geweiht ist, sich bereiterklärt, die angreifenden Löwen, Hyänen und Schakale im Schach zu halten, damit Dawid fliehen kann.


Doch davon will Dawid nichts wissen. Er legt einen Buschbrand zwischen sich und White und die Tiere, legt Letzteren neben die Leiche auf die Trage und zieht diese bis zu einem sicheren Ort. Bei Sonnenaufgang geht er Hilfe holen. Einige Zeit später holt Jeans ihn mit dem Jeep ab und bringt ihn ins Dorf zu einem Heiler. Doch auch der kann ihm nicht mehr helfen.
Entsprechend der Vereinbarung wird Dawid zum Studium in die USA geschickt. Im selben Flugzeug werden sowohl Hunter Whites Leiche als auch seine Trophäe, der einbalsamierte Körper von !Nqate, transportiert.


Beurteilung:
Trofee ist ein albtraumhafter Roman, der ausgehend von einer Geschichte über eine misslungene Großwildjagd die Herablassung beleuchtet, mit der „der Westen“ dem afrikanischen Kontinent und vor allem seinen menschlichen und tierischen Bewohnern begegnet.


Protagonist Hunter White, dem wir folgen, ist kein Sympathieträger. Er ist Spekulant und verdient sein Geld, wie er vor sich selbst zugibt, mit Dingen, die es nie gegeben hat. Die Lizenz zum Abschuss des Nashorns hat er sicherheitshalber auf Umwegen erstanden, damit Tierschutzorganisationen davon keinen Wind kriegen. Er redet sich ein, mit der Bezahlung der Lizenz etwas Gutes zu tun, weil das Geld zur Bekämpfung der Wilderei eingesetzt wird.
Afrika hat er bisher weiter keine Beachtung geschenkt, erst recht nicht der Politik, sondern immer nur als weltbestes Jagdgebiet respektiert. Die Jagd ist für ihn ein Zweikampf zwischen Mensch und Tier. Wenn das Tier keine Möglichkeit hat, den Jäger zu töten, empfindet White eine Jagd als unehrenhaft, deshalb stellt er vor dem Abschuss immer Blickkontakt her, um sicher zu gehen, dass das Tier ihn gesehen hat.


Durch das Angebot, einen Jungen schießen zu dürfen, kommt White zum ersten Mal in Kontakt mit der lokalen Bevölkerung. Schon beim Beobachten von !Nqates erster Jagd vom Hochsitz aus ist er voller Bewunderung. Als er kurz darauf getestet wird, wobei ihn zwei Fährtenleser aus dem Dorf begleiten, erfährt er aus nächster Nähe, dass die Einheimischen ihm beim Jagen haushoch überlegen sind, können sie doch ihre Umgebung wie ein offenes Buch lesen und aus Fährten viel umfassendere Schlüsse ziehen als er selbst.
In Rückblenden erfahren wir, wie White zur Jagd kam. Nachdem sein Vater bei einem Jagdunfall gestorben ist, als White sieben ist, nimmt sich sein Großvater seiner an und unterweist ihn in allen Feinheiten der Jagd. Die einzige Form der Zuneigung in seiner Jugend, die ihm etwas bedeutet hat, scheint das Lob des Großvaters gewesen zu sein, wenn er nach langer Verfolgung ein Tier mit einem einzigen Schuss erlegt hat.


Als ihm in dem Moment vor dem Abschuss, in dem er !Nqate in die Augen sieht, aufgeht, dass er im Begriff ist, ein Wesen zu töten, das nicht nur Gegenwart, sondern auch Zukunftspläne hat, durchfährt ihn im Bruchteil einer Sekunde nicht nur die Erkenntnis, dass es sich hier um Mord handelt, sondern auch, dass womöglich an der Geschichte, die man ihm über den Tod seines Vaters aufgetischt hat, auch etwas nicht stimmen könnte. Doch er ist zu sehr Jäger, als dass er in dem Augenblick noch zurückgekonnt hätte. Als dann Dawid das eigentliche Töten übernehmen muss, zeigt sich dessen moralische Überlegenheit einmal mehr.
Schon zuvor hat Dawid White tagelang klaglos begleitet und ihm, der für eine solche Jagd erstaunlich unvorbereitet war, mehrfach das Leben gerettet, wohl wissend, dass dieser seinen Freund abschießen wird – und das ausdrücklich in Kauf nehmend. Denn die Dorfbewohner brauchen das Geld, wenn sie ihren traditionellen Lebensstil erhalten wollen und Dawid in den USA studieren können soll, um nachher sein Wissen zugunsten der Gemeinschaft einsetzen zu können. Das ganze Dorf hat sich mit dieser Erwerbsmöglichkeit versöhnt, hat einen Weg gefunden, durch Rituale auch das Wohlwollen der Götter zu erringen und dadurch den eigenen Seelenfrieden wiederherzustellen.


Auf der anderen Seite steht der Großgrundbesitzer Van Heeren, der den neokolonialistischen Ansatz verkörpert. Er redet sich diesen unmoralischen Pakt auf dieselbe Weise schön wie die Vermittlung von Lizenzen für die Großwildjagd. Ein Gewissen besitzt er nicht.
Trofee ist für Nichtjäger ein Höllenritt, aber ein sehr lehrreicher und interessanter. Die Autorin ermöglicht uns einen verblüffend detaillierten Einblick in die Jägerdenke und -psyche und nimmt uns mit auf die Jagd, ob wir wollen oder nicht. Denkt man erst noch, es gehe ihr um ein Plädoyer für Artenschutz und gegen die Trophäenjagd, steht schon bald viel mehr auf dem Spiel. Verkommene Kapitalisten stehen edlen Wilden gegenüber, auch wenn letztere schon im Ansatz korrumpiert sind und teils Facebook-Accounts haben. Wer „gewinnt“, ist von vornherein klar, doch Hunter Whites Tod ist ein überraschender Kollateralschaden in diesem Aufeinandertreffen zweier Welten.


Trofee ist sehr filmisch geschrieben und sowohl Landschaft als auch Menschen werden sehr detailliert geschildert, sodass man quasi die Grillen zirpen, die Hyänen lachen und die Löwen brüllen hört und wirklich ein Afrika-Feeling verspürt. Dabei ist der Roman sprachlich sehr abwechslungsreich und nie klischeehaft.


Ein sehr beeindruckendes Buch, das insbesondere vor dem Hintergrund der immer wieder anschwellenden Diskussion über Reparationszahlungen an afrikanische Staaten, der Dekolonialisierung und der Entdeckung afrikanischer Literatur in Europa sicher eine Bereicherung darstellt.


Die Autorin:
Gaea Schoeters (*1976) ist eine vielseitige flämische Schriftstellerin, Journalistin und Librettistin. Sie schreibt Romane, Thriller, Reiseberichte, Kurzgeschichten, Gedichte, Essays, Kolumnen, ist aber auch für Theater, Oper, Film und Fernsehen tätig.