Jean-Claude van Rijckeghem - Ijzerkop

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Gutachten Jean-Claude van Rijckeghem - Ijzerkop
Gutachten Jean-Claude van Rijckeghem - I
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Kurzinhalt:
1808, Gent. Constance, 18, wird gegen einen Kredit mit dem wesentlich älteren Geschäftspartner ihres Vaters verheiratet. Doch sie kann sich nicht ihn ihr Schicksal fügen und flüchtet in Männerkleidern. Sie lässt sich für Napoleons Armee rekrutieren und zieht nach Österreich in den Krieg. Ihr Bruder Pieter, 14, der sie wieder einfangen, aber auch Napoleon die Skizzen einer neuartigen Kanone, die sein Vater entworfen hat, vorlegen soll, findet sie zwar schon in Paris, wo sie ausgebildet wird, kann sie jedoch nicht überzeugen, mit nach Hause zu kommen. Er reist Napoleon mit den Plänen seines Vaters bis nach Wien nach, findet Constance dort nach einer Schlacht schwerverletzt vor und nimmt sie mit nach Hause. Doch ihre Sehnsucht nach dem anderen Leben ist stärker als jeder Gehorsam oder Familiensinn.

Der Inhalt ausführlich:
Constances Vater, der lieber Erfinder als Schuster sein möchte, verheiratet seine Tochter an seinen neuen Geschäftspartner Lieven Goeminne. Erst gibt Constance sich Mühe, sich in ihre neue Rolle zu fügen, doch dann trifft sie auf dem Markt auf eine Frau, die sie in einem verbotenen Kampf hat boxen sehen, nimmt allen Mut zusammen und entscheidet sich für ein anderes Leben. Sie flüchtet in Kleidern ihres Mannes in die Nacht, als dieser volltrunken ins Bett gefallen ist. Vom Bäckerssohn Binus weiß sie, dass dieser am nächsten Morgen den Marsch nach Paris antreten muss, um sich Napoleons Grande Armee anzuschließen, und bietet ihm an, seinen Einberufungsbefehl zu übernehmen.


Am nächsten Morgen steht ihr Mann bei ihren Eltern auf der Matte und fordert seine Frau zurück. Doch so sehr sich auch alle bei der Suche anstrengen, Constance bleibt verschwunden. Lieven entzieht der neugegründeten Firma sein Kapital, sodass ihr Vater Konkurs anmelden und ins Gefängnis gehen muss. Wenig später bekommt Constances jüngster Bruder Edmond ein Brot zugesteckt, in dem sich Geldstücke befinden, und Pieter geht ein Licht auf.


Inzwischen ist Constance in Paris angekommen, eingekleidet und dem 14. Regiment zugeteilt worden. Das Soldatenleben ist unkomfortabel, trotzdem gefällt ihr die Ausbildung besser als das Leben als Ehefrau. Für ihren Ausbilder, Sergeant Perrec, schreibt sie außerdem Liebesbriefe an seine Angebetete, eine berühmte Schauspielerin namens Mademoiselle Mars. Als er dank dieser ein Gespräch mit ihr ergattert, begleitet sie ihn und lernt, während sie auf ihn wartet, eine Tänzerin aus Mademoiselle Mars’ Ensemble kennen Fortuna, die ihr sofort gefällt.


Als das Geld aus dem Brot ausgegeben ist, vor allem für Medikamente für den schwindsüchtigen Edmond, sieht Pieter als einzigen Ausweg aus der Misere, sich an Lieven zu wenden. Er erzählt ihm von seinem Verdacht, Constance sei wahrscheinlich dem Rekruten Alfons, dem Krämerssohn, gefolgt, als dieser eingezogen worden sei. Lieven bietet ihm an, vier Jahre lang sein Schulgeld zu zahlen, wenn er ihm Constance zurückbringe.


Bevor Pieter mit einem von Lievens Handlangern, Dupin, nach Paris reiten kann, will er sich noch bei seinem Vater verabschieden. Dieser hat inzwischen den Entwurf einer Kanone fertig, die er ursprünglich zusammen mit Lieven hatte produzieren wollen. Als er von Pieters Vorhaben hört, gibt er ihm die Pläne mit dem Auftrag, sie Napoleon vorzulegen. Dupin dürfe hiervon natürlich nichts erfahren.


In Paris finden sie Alfons, müssen jedoch feststellen, dass Constance sich nicht bei ihm aufhält. Sie setzen ihre Suche fort, doch Dupin ist auch aus privaten Gründen nach Paris gekommen, hat er doch eine Geliebte hier, sodass er gelegentlich abgelenkt ist. Pieter will einen solchen Moment nutzen, um beim Kaiser vorzusprechen, wird jedoch von Dupin erwischt, zur Rede gestellt und um die Pläne erleichtert. Als dieser ihn mit einem Messer bedroht, entdeckt Pieter plötzlich in der umstehenden Menschenmenge Constance und verrät sie.


Dupin will sie enttarnen, doch es gelingt ihr, allgemeine Verwirrung zu stiften und ihn zu einem Duell herauszufordern, bei dem er sie zwar mit einem ersten Schuss am Kopf streift, doch beim zweiten Schusswechsel trifft sie ihn und verletzt ihn schwer. Pieter wagt nicht, sie noch einmal, diesmal gegenüber ihren Vorgesetzten, zu verraten. Er kehrt mit Dupin und seiner Geliebten zu dieser nach Hause zurück, nicht zuletzt, weil er die Pläne seines Vaters noch wiederbekommen muss. Als Dupin Wochen später wieder auf den Beinen ist, sucht er sich eine beliebige unbekannte Leiche, zwingt Pieter zu bestätigen, dass es sich um seine Schwester handle und lässt Constance für tot erklären.


Weitere Wochen vergehen, bis die Tochter der Geliebten Pieter heimlich die Pläne wiedergibt und er aus Paris fliehen kann. Aus der Zeitung erfährt er, dass der Kaiser sich im Krieg in Österreich befinde und reitet ihm hinterher.
Als Constance das Lazarett Wochen später wieder verlässt, steht ein Aufbruch Richtung Österreich bevor. Noch während sie marschieren, bricht der Krieg aus. Constances Regiment zieht durch das kürzlich verwüstete Ebelsberg. Bei der Verfolgung einer Gruppe Deserteure muss Constance sich ausziehen, sodass eine Handvoll anderer Soldaten entdeckt, dass sie eine Frau ist. Doch da sie Mut beweist, sind sie bereit, diese Tatsache für sich zu behalten. Sie wird sogar befördert.


Nachdem Wien gefallen ist und Napoleons Truppen einmarschieren, sind diese in Feierlaune. Sogar Mademoiselle Mars hat es mit ihrem Ensemble bis dorthin geschafft und schart ihre Verehrer um sich. Doch Constance hat nur Augen für Fortuna, der sie sich offenbart und mit der sie die Nacht verbringt. Am nächsten Morgen kommt es jedoch zum Streit, denn Fortuna, die Deutsche und deshalb gegen Napoleon ist, möchte, dass Constance die Armee verlässt und bei ihr bleibt, während Constance sich ihrer Truppe verpflichtet fühlt. Sie zieht in den Kampf und wird nach einem höllischen Tag auf dem Schlachtfeld bei Aspern schwer verwundet.
Pieter hat inzwischen Wien erreicht und beobachtet die Schlacht von der Stadtmauer aus. Als abends die Kanonen schweigen, wagt er sich zu den napoleonischen Reihen vor. Zufällig gelingt es ihm, die Pläne seines Vaters einem Major zu zeigen, der dafür sorgen will, dass er beim Kaiser vorsprechen darf. Doch als sie die Donau überqueren wollen, zerstören die Österreicher die Brücke. Am nächsten Morgen sieht er aus der Ferne schon den Kaiser zu Pferd, als er erkannt wird und man ihm von der Verletzung seiner Schwester berichtet. Pieter ist hin- und hergerissen zwischen dem Auftrag seines Vaters und der Sorge um seine Schwester, mit der er sich zwar nie gut verstanden hat, aber die eben doch seine Schwester ist. Der Major und der Kaiser kommen schon auf ihn zugeritten, als er sich für seine Schwester entscheidet.


Er sucht und findet sie zwischen Hunderten Toten und Verletzten und schleift sie zum überlasteten Chirurgen, damit er ihren eiternden, fliegen- und madenbesetzten Arm abnimmt. Als er endlich Zeit findet, sich wieder um die Pläne zu kümmern, hat sein Pferd, das er unterwegs oft mit Papier füttern musste, sie schon großenteils aufgefressen.


In den folgenden Tagen kümmert Pieter sich um seine Schwester, die die meiste Zeit bewusstlos ist. Er sorgt dafür, dass sie, als die Soldaten nach Westen aufbrechen, nicht zurückgelassen wird. Zehn Monate, nachdem sie Gent verlassen haben, kehren sie wieder zurück. Allerdings ist Constance nach wie vor schwer traumatisiert. Erst als Edmond sich auf ihren Schoß setzt und ihren Namen sagt, spricht sie wieder.


Ihre Mutter verbannt ihre Uniform und zwingt ihr wieder Frauenkleider auf. Doch als sie unerwartet Besuch von ihren Kameraden bekommt, kriegt sie kein Wort heraus, bis sie nicht wieder ihre Uniform trägt. Am nächsten Tag stattet sie ihrem früheren Ehemann einen Besuch ab und zwingt ihn, den Vertrag mit ihrem Vater zu verbrennen, sodass dieser aus dem Schuldgefängnis entlassen werden kann. Wenig später weckt sie Pieter frühmorgens, um sich zu verabschieden, und nimmt eine Kutsche nach Wien.

Beurteilung:
Ijzerkop ist ein historischer Coming-of-age-Roman, der kapitelweise abwechselnd aus der Perspektive der sehr unterschiedlichen Geschwister Constance und Pieter erzählt wird. Constance ist eine freiheitsliebende Abenteurerin, Pieter ein angepasster Duckmäuser. Obwohl Constance die Schlauere der beiden ist, ist ihr als Mädchen selbstverständlich der Zugang zu höherer Bildung verwehrt, während Pieter sein Privileg nicht zu schätzen weiß.


 Wir folgen diesen beiden Figuren und erleben ihre Entwicklung mit. Constance befreit sich aus ihrer erstickenden Umgebung, und Pieter wird erwachsen und lernt, Verantwortung für seine Taten zu übernehmen. Daneben lernen wir noch eine Vielzahl von Figuren kennen, die ebenfalls ihre eigenen Charakterzüge haben, wobei sich der Autor bei jeder um eine differenzierte Darstellung bemüht.


Beide Handlungsstränge sind spannend und glaubwürdig und haben eine eigene Stimme. Der Roman ist sprachlich vielfältig und hat eine komplexe Struktur, ohne konstruiert zu wirken. Dass der Autor vom Film kommt, merkt man dem Roman positiv an. Er ist nicht zu literarisch, ohne platt zu sein, und dabei sehr filmisch: die historische Atmosphäre wird sehr geschickt und nachvollziehbar geschaffen, und der Blickwinkel des Lesers wird immer mitgedacht.


Ein sehr lesenswertes Buch.

Der Autor:
Jean-Claude van Rijckeghem (*1963) ist ein flämischer Dreh- und Jugendbuchautor und Filmproduzent. Ijzerkop ist sein sechster historischer Jugendroman. Er erhielt mehrere flämische und niederländische Preise (Thea Beckmanprijs, Jonge Beckmanprijs, Vlag en Wimpel, De kleine Cervantes) und erreichte bei anderen die Shortlist (Boekenleeuw, Nederlandse Jonge Jury, Woutertje Pieterse Prijs). Auf Englisch erschien er unter dem Titel Ironhead, or once a young lady. 2022 erschien ein weiterer, ebenfalls sehr spannender historischer Jugendroman, Onheilsdochter, der zur Zeit der Wikinger spielt.