Mila arbeitet nach dem Studium zum völligen Unverständnis ihrer Familie als Nacktmodell. Schon mit sechzehn hatte sie in Museen immer beeindruckt, von welchen Menschenmassen Gemälde von nackten
Frauen bestaunt werden. Damals hatte sie sich vorgenommen, auch einst auf Leinwand verewigt in einem Museum zu hängen. Gen Ende des Studiums entdeckt sie einen Aushang, auf der ein Nacktmodell
gesucht wird, doch als sie zwei Jahre später noch immer nicht von einem großen Künstler zur Muse erkoren worden ist, wird sie es allmählich leid.
Mit Bewunderung begleitet sie ihre beste Freundin Lisa zu deren Auftritten als Comedian, die häufig kurz und desillusionierend sind, von denen sich diese aber nicht entmutigen lässt. Stattdessen
feilt sei weiter an ihren Programmen. Mila glaubt nicht, ein ähnliches Talent zu besitzen.
Doch dann passiert es: Eines Tages findet sie in ihrer Handtasche eine Skizze von sich, die entstanden sein muss, als sie sich in einer Posierpause die Hände an einer Tasse wärmte. Die Skizze ist
nur mit Initialen signiert. Kurze Zeit später entdeckt Mila bei einem Theaterbesuch das Gemälde zu jeder Skizze in einem Flyer für eine Vernissage des Künstlers Torven Storm, der einst bedeutend
gewesen war, nun aber schon seit Jahren in der Versenkung verschwunden schien. Sie beschließt hinzugehen und ist von seinem Werk überwältigt. Als er sie sieht, während er gerade interviewt wird,
lässt er seinen Gesprächspartner einfach stehen, um mit ihr nach Hause zu fahren.
Begierig saugt Mila alles über Torvens Leben auf und nistet sich in seinem Alltag ein. Erst Tage später fährt sie zum ersten Mal wieder nach Hause, sehr zu Lisas Freude, die sie schon vermisst
melden wollte. Aber Mila fühlt sich nicht mehr zu Hause und so packt sie einen Tag später die wichtigsten Sachen ein, um unauffällig bei Torven einziehen zu können, diesmal auch mit erotischen
Absichten. Sie erlebt eine Amour Fou zwischen Bett und Atelier mit seltenen Ausflügen in die Außenwelt.
Doch die Beziehung ist nur von kurzer Dauer und ihr Ende stürzt Mila in ungeahnte Abgründe des Liebeskummers, aus denen sie sich nicht allein befreien zu können scheint. Lisa und Milas Schwestern
tun ihr Bestes, um sie abzulenken, vergeblich, denn für Mila geht mehr nicht nur die erste große Liebe zu Ende, sondern ihr ganzer Lebensplan den Bach runter. Nach einer Weile schafft sie es,
wieder zu funktionieren und sogar einen Job als Kellnerin zu finden, doch die Freude am Leben entzieht sich ihr, bis es ihr endlich gelingt, neuen Mut zu fassen.
Sie sieht ein, dass ihr Ansatz falsch war. Dass es ihr immer nur um sich selbst gegangen ist, ohne dass sie sich selbst eigentlich kannte oder mochte. Indem sie sich selbst zum Objekt reduziert
hatte, war sie vor der Verantwortung geflüchtet, etwas aus ihrem Leben zu machen, erkennt sie. Gleichzeitig hatte sie von ihrem jeweiligen Freund das Unmögliche erwartet, nämlich, dass er die
Leere in ihr füllen möge. Diese Erkenntnis ist der Wendepunkt, an dem ihre emotionale Talfahrt ein Ende findet.
Aus einem Hobby, dem Basteln kleinerer Vanitasarbeiten aus präparierten Insekten und Skeletten, die sie auf Flohmärkten ersteht, macht sie ihren Beruf, indem sie bei einem bekannten Taxidermisten
in die Lehre geht. Gleichzeitig bemüht sie sich, die Entfremdung zu ihren Schwestern rückgängig zu machen, die über die Jahre entstanden ist, und freut sich, als ihre jüngere Schwester bei ihr
einzieht.
Beurteilung:
De muze en het meisje (Die Muse und das Mädchen) ist ein kurzweiliger Coming-of-Age-Roman, der romantisch ist, ohne kitschig zu sein, leichtfüßig, ohne trivial zu sein und humorvoll, ohne albern
zu sein. Die Figuren sind liebevoll entworfen, der Plot glaubwürdig und realistisch, die Sexszenen gut geschrieben und nicht abgedroschen.
Der Roman wird aus der Ich-Perspektive der Protagonistin Mila erzählt. Er ist in vier Teile unterteilt, die nach den Jahreszeiten benannt sind, beginnend mit Herbst, der Jahreszeit, die Mila am
meisten entspricht, wie ihr Vater sagt: „farbenfroh, aber schnell dunkel“. In diesem Teil lernt der Leser die Hauptfigur und ihr erklärtes Lebensziel kennen: Das Verewigt-Werden in einem
Kunstwerk. Im Winter („Dieser Winter“) begegnet sie ihrem Künstler und erlebt mit ihm – wie sie denkt – die große Liebe, im Frühling geht sie liebeskummerbedingt durch die Hölle und im Sommer
erkennt sie, dass sie aus sich selbst heraus etwas erschaffen kann und sich nicht darauf zu verlassen braucht, dass ein anderer aus ihr etwas macht. Die Geschichte ist sehr gut nachvollziehbar
und durchaus tröstlich, ohne je moralisierend zu sein.
In den Haupthandlungsstrang, der mehr oder weniger chronologisch erzählt wird, sind regelmäßig Rückblenden zur Kindheit der Hauptfigur eingeflochten. Hierdurch erhält der Leser ein ziemlich
vollständiges Bild der Protagonistin und entwickelt für diese eine große Sympathie, aber auch für ihre Familie, ihre beste Freundin und ihre große Liebe, denn alle werden mit großer Zärtlichkeit
skizziert, sodass der Leser sie zu kennen und zu verstehen glaubt, auch wenn er nur einige kurze Einblicke in ihr Leben erhält.
Insgesamt eine originelle romantische Achterbahnfahrt, die sehr lesenswert ist.
Die Autorin:
Katrijn Van Bouwel (*1981) ist eine flämische Improtheaterschauspielerin, Komikerin und Kolumnistin. Sie hat Kommunikationswissenschaften und Philosophie studiert. De muze en het meisje ist ihr
Debütroman.
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